Sonntag, 21. Februar 2016

Into the Rhine - Ein bisschen barfuß schadet nie

Als der Wecker klingelte, brachte ich ihn schnellstens zum Schweigen und drehte mich getrost noch einmal um. Das Recht nahm ich mir nach der gestrigen Etappe einfach einmal heraus.
Aber um 08:00 Uhr war trotzdem Schluss mit lustig. Ich quälte mich aus dem Bett und plumpste gleich wieder rücklings um. So konnte ich nicht aufstehen, zuerst musste ich meine Blasen operieren!

Ich kann mir weit Schöneres vorstellen, als am frühen Morgen mit einer Nadel in halbtotem Gewebe herumzustochern und 3 Liter Flüssigkeit durch eine kleine Öffnung zu pressen. Aber was sein muss, muss sein.

Beim zweiten Versuch aufzustehen stand ich gleich 1cm tiefer. Jetzt konnte es losgehen!
Schnell noch ein Foto!

Beim Bäcker genehmigte ich mir zur Feier des Tages ein leckeres Schokocroissant, in das ich gleich herzhaft hineinlangte und es nach dreieinhalb Bissen komplett verputzt hatte. Das war gut! Und weiter gehts! Mein Weg führte mich zunächst nach Speyer. Sabrina meinte noch, dass sie heute auch nach Speyer fahren würde. Kaum 2 Stunden on the road und ein Auto hupte; es war tatsächlich Sabrina, die mich so frech und zügig überholte! Etwas neidisch blickte ich ihr nach, freute mich aber auch über diesen Zufall.

Nicht lange und ich kam in Speyer an. Auch wenn das Wetter wieder nicht mitspielte, irgendwas hatte die Stadt an sich. Besonders bewunderte ich die vielen alten Gebäude, Gemäuer, die schon einige Tage, Jahre und Jahrzehnte gesehen hatten, Fassaden, die bröckelig standhielten. 



Im Park am Dom machte ich eine kleine Pause. Ich nahm ein paar kräftige Bisse von meinem von gestern übrig gebliebenen Lunchpaket und studierte die heutige Route. Es gab 2 Optionen: Direkt am Rhein oder irgendwo an der Straße entlang. Die Entscheidung war schnell gefällt.
Bevor der Regen in vollen Zügen loslegte, sattelte ich die Pferde und suchte einen Weg auf die Salierbrücke, die mich zurück nach Baden-Württemberg bringen würde. Ein letztes Mal Baden-Württemberg. Kaum war ich drüben, wurde ich von einigen Autos angehupt und gefeiert. Warum? Das weiß ich bis heute nicht. Die Prozedur geschah 3 oder 4 Mal im Abstand von ein paar Minuten. Ich freute mich einfach mit den Leuten und versuchte nicht nach einer Erklärung zu suchen.
Dann ging es direkt hinunter zum Rhein. Ein steiniger Weg führte mich am Ufer entlang. Ich teilte mir den Weg mit ein paar Spaziergängern und Vierbeinern. Zunächst schwamm ich mit dem Strom, im Gegenzug kamen mir einige Leute entgegen. Irgendwann änderte sich das Bild und ich war alleine auf der rechten Spur; es herrschte nur noch Gegenverkehr. Naiv wie ich war dachte ich mir nichts dabei und genoss den Blick auf den Rhein und die Regenpause.

Noch ist alles cool...

Verdächtig wurde es allerdings, als ein Radfahrer mit Hund im Schlepptau zuerst an mir vorbeifuhr, allerdings schon nach 2 Minuten in der Ferne umkehrte und zurückfuhr. "Mensch, ist das ein fauler Sack!", dachte ich laut. Er fuhr an mir vorbei und ich schaute in fragend an.

Dann passierte, was ich nicht glauben konnte. Ein Déjà Vu! Überall ist Wasser! Links, rechts und vor mir! Nicht schon wieder! Da hatte ich erneut so viel vor mich hingeträumt, dass mir das Malheur von gestern doch tatsächlich wiederholte! Hätte der Kerl auf dem Fahrrad nicht mal eine Warnung geben können?!
Ich befand mich seit einer guten Stunde auf diesem Inselarm und hatte nur wenig Lust die ganze Strecke zurückzulaufen. Das würde ich auch nicht tun, niemals! Und wenn ich heute Otter spielen müsste - ich gehe den Weg nicht zurück! Der Entschluss saß. Aber zur Erinnerung: Ich war auch über Nacht nicht zum Otter mutiert.

Nachdem ich mich ein wenig beruhigt hatte, studierte ich die Situation und versuchte mit meinem durchschnittlich ausgeprägtem Augenmaß abzuschätzen, ob es einen Weg aufs, übers, durchs oder unters Wasser geben würde. Schneller als ich mich versehen konnte, hatte ich meine Wanderschuhe und Socken ausgezogen, die Hosen so weit es geht nach oben gekrempelt, alle losen Teile im Rucksack verstaut oder fest am Körper angebunden und stand barfuß vor der rund 15 Meter breiten Öffnung des Kanals, der sich schon wieder heimlich neben mir gebildet hatte. Im Sommer, so war ich mir sicher, konnte man hier bestimmt mit Leichtigkeit durchlaufen. Warum dann nicht auch im Winter? Ich konnte große Steine unter der Wasseroberfläche erkennen, die mit Algen und Schlamm zugekleistert waren. Nicht ganz ungefährlich. Würde ich in das eisige Wasser hineinplumpsen, wäre der Trip erst einmal gegessen. Mit Glück würden Kamera und Handy überleben. Oder ich würde in den Rhein hineinrutschen und eine Runde Wasserbahn fahren. Aber bevor ich zurücklaufen müsste, war es mir das Risiko durchaus wert.

Vorsichtig setzte ich den ersten Schritt auf vorderste Steinplatte und merkte, wie ich langsam nach unten rutschte. Der Schlamm quatschte zwischen meinen Zehen hindurch; bis jetzt hatte ich noch keinen Tropfen Wasser berührt. Mit einem eigenartig eleganten Hechtsprung steuerte ich aufs Wasser zu und fand im letzten Moment mit wild wirbelnden Armen Halt auf dem ersten Stein, der sich einen Unterschenkel tief im Wasser befand. Puh, alles ist gut! Verflixt kalt, die Suppe! Meine Beine fühlten sich an, als würden Millionen kleiner Piranhas an meinen Waden nuckeln. Jeder einzelne Schritt war so gut es ging durchdacht. Einige erfolgreich. Andere nicht. Dann musste ich erneut kräftig rudern, um nicht in die großen Löcher zwischen den Steinen zu schliddern. Meine Zehen waren mir keine große Hilfe um die Balance zu finden, waren sie wohl schon eingefroren oder im Mund eines Karpfen verschwunden - ich hätte den Unterschied nicht gemerkt.

Noch 3 große Schritte und ich würde Land betreten! Zwar nicht aufrecht, dafür auf allen vieren mit Rucksack auf dem Buckel wie eine Meeresschildkröte und meterbreitem Grinsen krabbelte ich den kleinen Hügel hinauf und wusste: ICH HABE ES GESCHAFFT! Ein kleiner Schritt für einen Menschen, ein großer Sprung für Adjoa!

Auch wenn ich sie nicht mehr spüre, sie sind noch da, alle Zeh(e)n!!

Bepinselt und geballt mit Endorphinen über dieses Erfolgserlebnis tupfte ich meine Füße, Unterschenkel und Hose mit der Ration zusammengeschnorrter Taschentücher und Klopapierrollen, die ich stets für die ständig laufende Nase im Gepäck habe, trocken und packte meine Füße zurück in die unversehrten, trockenen Wanderschuhe. Ich war heilfroh, dass mich bei der Aktion niemand beobachtet hat und das der Frachter, der wenige Minuten später an mir vorbeifuhr, nicht eher hier gewesen und ein paar heftige Wellen rüber geschickt hatte. Dann wäre ich sicherlich über Bord gegangen. Nun konnte mir kein Hindernis der Welt mehr den Weg versperren, ich war voller Tatendrang und gewillt die letzten Kilometer einfach herunterzureißen.

So lief ich Meter für Meter, immer weiter, bis ich irgendwann in Heidelberg ankam. Auf dem Weg fand ich sogar noch einen 5-Euro-Schein und freute mich wie Bolle über das soeben erlangte morgige Frühstück.

Eigentlich wollte ich bei meinem Zwischenstopp in Heidelberg eine Freundin besuchen. Leider war sie gerade in Urlaub und so konnten wir uns nicht treffen. Aber sie war so nett mir ihr WG-Zimmer zur Verfügung zu stellen, was ich sehr begrüßte. Aber ihre Mitbewohner waren da und kümmerten sich herzlich um mich. Bei Tee und Keksen erzählte ich von meinen bisherigen Erlebnissen. Im Gegenzug erfuhr ich von äußerst attraktiven Wandertouren, die ab nun auch auf meiner Liste stehen. Wir konnten uns gut austauschen und unterhielten uns prächtig, bis meine Augenlieder das Licht ausknipsten und ich mit jeder Menge aufregenden Bildern in meinem Kopf ins Land der Träume abtauchte. Danke Mara, für dein warmes Bett!!! :) Und auch ein fettes Dankeschön geht an die Mitbewohner!!

Impressionen:
Der Anfang des Tages. Keiner von uns beiden hat Bock heute hier zu sein...
...bloß dass er davonfliegen kann
Ein Siegerfoto!!!

Kilometerstand: 654km

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