Montag, 7. März 2016

Das End vom Lied

Wo fange ich nur an? Am besten doch immer mit einem fetten DANKESCHÖN!

Dieses Dankeschön geht raus an alle Hosts, lieben Menschen, die mich und Danilo bei sich aufgenommen, umsorgt, gefüttert, ein warmes Bett und eine heiße Dusche gegeben haben.

Ich möchte mich aus tiefstem Herzen bei euch allen für eure Gastfreundschaft, Offenheit und vor allem für euer Vertrauen bedanken! Irgendwann in der Zukunft hoffe ich mich für all euer Tun in irgendeiner Form revanchieren zu können! Danke, dass ich einen Tag lang euren Alltag erleben durfte. Auch bedanke ich mich für die tollen Unterhaltungen, aus denen ich viel gelernt und viel mitgenommen habe. Ja, man kann sagen, dass ich aus keiner Tür hinausgegangen bin, ohne ein Päckchen mitzunehmen. Ein Päckchen mit neuen Zielen, neuen Sichtweisen, einer neuen Richtung. Die Kompassnadel, die immer geschwankt hat, hat nun einige Male schwer ausgeschlagen und sich jetzt in einer bestimmten Richtung eingependelt, die ich verfolgen werde. Je öfter ich auf Reisen gehe, desto klarer sehe ich, wo lang es geht. Und natürlich bedanke ich mich für eure Geschichten, sind diese doch das Beste, was man miteinander teilen kann.

Viele Leute zu Hause und auch unterwegs haben mir eine Frage gestellt, die ich hier nun beantworten möchte: "Warum machst du das eigentlich? Und warum hier?"

Jetzt, wie ich hier im Warmen und Trockenen sitze und auf die letzten 4 Wochen zurückblicke, weiß ich ganz genau, warum ich mir das angetan habe:
Um den inneren Schweinehund jeden Tag aufs Neue zu besiegen, eigene Grenzen kennenzulernen, zu überschreiten, das Gesicht gegen Wind, Regen, Schnee und Kälte zu halten, ein geografisches Verständnis für zumindest den Süden und Süd-Westen Deutschlands zu erlangen, die Natur zu erkunden, das Gute und das Schlechte zu sehen, über sich selbst hinauszuwachsen, interessante Menschen zu treffen, die einem helfen ganz neue Dinge zu sehen, die man vorher nicht sehen konnte, sodass man sich fragt, ob man zuvor blind gewesen war. Darum habe ich diesen Trip gemacht. Und warum Deutschland? Andere Frage: Warum nicht? Ich kenne andere Länder wie meine Westentasche. Das Land, in dem ich geboren und aufgewachsen bin, seit mehr als 24 Jahren lebe, das kenne ich fast gar nicht. Und eben diese Unwissenheit wollte ich bekämpfen.

Ich habe wahnsinnig viel gelernt, vor allem in Bezug auf das was vor mir liegt. Wo stehe ich heute, wo will ich morgen hin, was habe ich, was brauche ich, wovon löse ich mich in Zukunft, wo setzte ich welche Ziele. Gerade durch das Couchsurfen bekommt man einen Einblick in den privaten Alltag der Leute und das ist ein großes Geschenk. Sei es beruflich, charakteristisch oder auch materieller Natur. Nach jedem Besuch und nach jeder Nacht, die ich in einem fremden Haushalt verbracht habe, nahm ich ein weiteres kleines Puzzleteil mit auf den Weg, deren Einzelheit sich für mich nun als neues Bild zusammensetzt.

Eines hat sich für mich auf jeden Fall einmal mehr bestätigt: Kein Mensch braucht einen vorgegebenen Weg. Auch und besonders keinen Jakobsweg, es sei denn vielleicht aus einem speziellen religiösem Hintergrund. Folgen kann jeder, aber querwärts ist die Lösung. Das Querwärtslaufen hat mir persönliche viele Türen geöffnet, bei denen zwar häufig das Schloss klemmte oder ein Kindergitter im Rahmen den Eintritt erschwerte, aber ich bin am Ende durch jede einzelne durchgegangen.

Ab und zu war auch der Einsatz psychologischer Gehhilfen notwendig, sei es in der Form von Kuchen, einem heißen Kakao oder dem Wissen, dass jeden Abend irgendwo ein warmer Platz auf mich wartet, an dem ich mich ausruhen kann. Das ist viel wert.
Ja ihr lieben Leut, das ist die Erklärung zu dem "Warum" und "hier".

Ich freue mich wahnsinnig über den vielen Zuspruch, die Bewunderung und über die Tatsache, dass auch ich Menschen inspirieren konnte. Nicht jeder konnte meine Euphorie für's Wandern und Reisen teilen, doch begeistern konnte ich sie mit dieser Geschichte jedes einzelne Mal.


Meine persönlichen Gewinner auf dem Trip:

Die Menschen
Wie bereits betont: Ihre Gastfreundschaft, ihr unantastbares Vertrauen, der Wille zu geben und keine Gegenleistung zu erwarten, die Offenheit, die Hilfsbereitschaft, ganz gleich ob Gastgeber, Wirt oder Fremder auf der Straße! Deutschland ist lange nicht so verspießt und verkorkst, wie man immer zu denken glaubt!

Das Couchsurfen
Die beste Art zu Reisen! Wer glaubt, Couchsurfing in Deutschland wäre langweilig, der hat sich gewaltig geschnitten! Dorfmenschen sind langweilig und haben nichts zu erzählen? Unsere "Kultur", falls wir überhaupt eine haben, kenne ich? Heimat ist langweilig? Schwachsinn! Ich kann es nur jedem raten die Erfahrung selbst zu machen und mutig genug zu sein auf die Menschen zuzugehen. Ihr lernt eure Heimat und die "langweiligen" Menschen von einer ganz anderen Seite kennen und wachst mit jeder neuen Begegnung.

Die Natur
Australien, Neuseeland, USA, Kanada und Asien, überall gibt es so viel Schönes zu sehen. Ja, richtig. Aber schau mal aus dem Fenster! Ausgenommen du wohnst in der Hauptstraße einer Großstadt. Wir haben es mehr als schön hier! Und es ist gar nicht notwendig in ein Flugzeug zu steigen um etwas Anderes zu sehen. Ich bin erstaunt und fasziniert vom Süden Deutschlands und sehr froh über all die wunderschönen Dinge, die ich gesehen habe. Auch weiß ich es sehr zu schätzen, dass man sich hier überall vollkommen frei bewegen kann. In jeglicher Hinsicht.


Und meine persönlichen Verlierer:

Der Wetterbericht
Da ist selbst die Deutsche Bahn zuverlässiger als das, was mir der Wetterbericht an jedem Tag erzählen wollte. Aber ich habe eine interessante Methode herausgefunden, um in 99,9% der Fälle auf das kommende Wetter vorbereitet zu sein. Der Blick aus dem Fenster! Wahnsinn! Dicke, dunkle Wolken lassen auf Regen schließen, strahlende Sonne und blauer Himmel verkünden gutes Wetter für die nächsten Stunden. Ihr glaubt es nicht, das funktioniert wirklich! Oder man glaubt immer das Gegenteil von dem, was euch der Wetterbericht auftischt, geht auch.

Der Müll
Ist es denn eigentlich wirklich so schwer seinen Müll während der Autofahrt im Fahrzeug zu behalten und ihn zu Hause zu entsorgen? Die Strecken an den Autobahnen und Bundesstraßen, besonders dort, wo ein Fastfood Restaurant in der Nähe residiert, werfen ein trauriges Bild auf die sonst so schönen Ausblicke abseits der Straßen. Ich hätte nichts dagegen, wenn jeden, der seinen Unrat aus dem Auto wirft, der Schlag treffen würde. Abgesehen davon, dass es hässlich aussieht, wird der Lebensraum vieler Tiere beschmutzt, die an den Folgen nicht selten erkranken oder sterben. Wie kann einem Menschen so etwas egal sein? Wenn es selbst ich als Reisende auf die Kette bringe meinen Abfall zu sammeln und an nächster Stelle ordnungsgemäß zu entsorgen, dann bin ich mir doch sicher, dass auch Autofahrer und ihre Mitinsassen eine solche Leichtigkeit fertigbringen können.
Ich verbleibe mit Unverständnis.

Wahlplakate
Wow. Da fällt mir wirklich nicht viel mehr ein. Wie kann man nur so hirnverbrannt und verblendet sein wie ein Großteil der Parteien, die sich zur Wahl aufgestellt haben? Wie kommt man auf diese widerwärtigen, beleidigenden und grundsätzlich falschen Wahlsprüche? Wieviel kann in Erziehung und der geistigen Entwicklung schief laufen? Und wie kann es sein, dass Wähler so unaufgeklärt sind, dass sie den Schund auch noch glauben und ihre Stimme genau denen zusprechen? Oder ebenso schlimm: Wie können Bürger derart uninteressiert sind, dass sie nichts gegen diese ekelhafte Bewegung tun? Ich für meinen Teil habe mich über jedes dieser heruntergerissenen oder beschmierten Plakate gefreut und innerlich applaudiert! In meinem nächsten Leben werde ich ein Industriedrucker und werde mich weigern eine solche Gülle auf Papier zu bringen, werde mich in Form von Tinte auf diese Papierverschwendungen übergeben und den größten Stau in der Papierzufuhr produzieren, dass sogar die A3 blass wird vor Neid!
Im Ernst, ich hoffe sehr, dass ein Wunder geschieht und diese Bewegung im Keim erstickt wird, dass Hass, Angst und Wut in sinnvolle Emotionen transformiert werden kann. Dass man keine Unterschiede mehr zieht, wo keine zu ziehen sind. Mensch ist Mensch und das ist auch ein Part, den man lernt, wenn man unterwegs ist. 
In meiner Erziehung habe ich eine sehr wichtige Sache gelernt, die ab und zu vieles erklären kann: Die Welt ist ein großer Tiergarten. Je länger ich darüber nachdenke, desto sinniger ist diese Aussage.

Mit einem solch negativen Statement möchte ich diesen Blog natürlich nicht beenden. Deswegen möchte ich mich ganz zum Schluss selbstverständlich noch bei ganz bestimmten Leuten bedanken.

Vielen Dank an meine Eltern, die mir sowohl in der Vorbereitung als auch unterwegs zwar nicht leibhaftig aber mental sehr viel geholfen, Kraft gegeben und das Heimkehren unvergesslich gemacht haben! Ich bedanke mich außerdem beim Wettergott, der mich glücklicherweise nur selten so richtig hat leiden lassen! Danke an meine beiden Beine und Füße, dass ihr trotz Schmerzen, Verunstaltungen und stinkenden Wanderschuhen jeden Tag immer weiter gelaufen seid! Danke an meinen Backpack, der ohne Panzertape und Nähzeug jede Etappe über sich hat ergehen lassen! Vielen Dank auch dir, Mr. Google, dass du mich aus manch kniffliger Situation aus dem Dunkeln geführt hast! Ohne dich hätte ich es wohl nicht bis nach Hause geschafft. Und zu guter Letzt: Danke Danilo!!!! Dass du mir so viel geholfen, geplant und organisiert hast, mir viel Last abgenommen und mich unterstützt hast und natürlich jeden Käse, der sich in meinem Hirn zusammenspinnt immer mitmachst! Dass du den Weg ein Stück mit mir gegangen bist! Dafür bin ich sehr dankbar!

Danke schließlich auch an meine fleißigen Leser und die vielen lieben Worte, die mich unterwegs erreicht und im höchsten Maße motiviert haben! Bis bald! :)



Andere Songs, die mich stets auf dem Weg begleitet haben:

Von Kindheit an einer meiner Liebsten!

Der unvergleichliche, der fabelhafte Mr. Turner!

...uuuuund Tschüss!!!!

Donnerstag, 25. Februar 2016

Der Tag

"Wann  hatte ich wohl das letzte Mal alleine und nicht zuhause in meinen Geburtstag hineingeschlafen?", das war die Frage, mit welcher ich den Tag eröffnete. Ich lag in einem bequemen, großen Bett, schaute aus dem Dachfenster, das von der Sonne durchflutet wurde, und wurde langsam wach. Auf eine komische Weise war es ein schöner Start in den Tag, auch wenn ich zunächst "alleine" war. Das änderte sich aber schnell, als ich die Treppe hinuntertapste und die Küchentür öffnete. Völlig überwältigt und irgendwie hilflos klein stand ich im Türrahmen und bekam ein 1A Geburtstagsständchen vorgesungen, während in meinen strahlenden Augen der Schein der kleinen bunten Geburtstagskerzen, die in einem Berg von Gummibärchen steckten, reflektierte. Wie süß war denn das? Mit so etwas hatte ich nicht gerechnet!

Gerührt wie das Ei in der Pfanne nahm ich Platz ein und frühstückte gemeinsam mit Sabine und den Kids. Gleich war es Zeit für den Kindergarten doch zuvor gab es noch eine kleine Geschichte und eine kurze Runde Memory. Dann aber fuhr ein Auto vor und ich war total gespannt, denn ich wusste, wer da drin sitzen würde. Meine Mama. Heute ist Mutter-Tochter-Tag; meine Mama begleitet mich auf meiner letzten Etappe. Gemeinsam würden wir am Nachmittag die Zielgerade überqueren. Danilo war so lieb gewesen sie nach Gau-Weinheim zu bringen. Na dann mal los! Tschüss liebe Gastfamilie!!!

Der erste Tag, an dem Mr. Google Sendepause hatte. Zunächst schauten wir uns seine vorgeschlagene Route zwar noch an, folgten ihr sogar ein Stück. Aber als er uns permanent an der überfüllten Bundesstraße entlang dirigierte, und dort sogar fast ein Unfall passierte, als ein junger Mann unerwartet in die Eisen ging, um uns ein Stück mitzunehmen, beschlossen wir dem Mister keine Aufmerksamkeit mehr zu schenken und kellerten ihn in den Tiefen meiner Tasche ein.
Über die meteorologischen Verhältnisse am heutigen Tag konnte man nur staunen. Die Frühlingssonne gab heue Vollgas und schoss raketenartig mit Solarenergie auf unsere körpereigene Photovoltaikanlage, das alles bei klarem Himmel und einer Luft, die so frisch und wohltuend in unsere Lungen strömte, das ein Gefühl "wie neu geboren" entstand. Wie passend.
Abgefüllt mit purer Energie bis unters Dach spazierten wir an diesem Supertag über die Felder, legten eine kurze Frühstückspause in Gau-Bickelheim ein, beobachteten die Winzer beim Arbeiten in den Weinbergen, während wir unsere Leckereien vom Bäcker vertilgten. 


Nächster Halt: Sprendlingen. Ein kurzer Abstecher bei meiner entfernten Cousine, Pipipause und immer weiter Richtung Gensingen. Hier gab es eine kleine, feine Mittagspause bevor wir unsere erste Hürde erreichten. 


Nach Grolsheim versuchten wir den Fahrradweg zu benutzen, doch das Hochwasser war an manchen Stellen so hoch, dass der Weg unpassierbar war. Glücklicherweise trafen wir auf ein älteres Paar, die uns entgegenliefen und vor dem Wasser warnten, sodass wir gar nicht erst Umwege auf uns nehmen mussten und konnten gleich reagieren. Sehr nett! Nicht wie das letzte Mal. Wobei barfuß durch die Nahe zu meinem Kindheitsalltag gehört hatte und somit wahrscheinlich keine Schwierigkeit dargestellt hätte. Mit trockenen Füßen erreichten wir Sponsheim und anschließend Dietersheim. Immer schön am Fluss entlang trafen wir zahlreiche Tiervielfalt, die über unseren Besuch ganz überrascht waren. Schnatternd und gackernd gaben sie uns den Damm als Fußweg frei. Wer kann es ihnen verdenken; ich hätte nicht minder Lust gehabt meinen Po in das trotz Sonne noch eisige Wasser zu setzen.
Und plötzlich stand sie da, die Brücke nach Münster-Sarmsheim, und wartete darauf mich in die Heimat zu tragen. Auch wenn es nur eine Sache von dreieinhalb Minuten war, ich fühlte das unglaubliche Gefühl nach Hause zu kommen. 


Hinauf auf den Affenberg, dann hast du es geschafft! Auf halber Strecke kam uns mein Papa entgegen und so schafften wir den letzten Aufstieg zu Dritt. 

Das war's schon. 28 Tage, vergangen wie im Fluge. Ab morgen würde ich wieder ganz normal aufstehen, nicht mehr laufen, nicht mehr in meine Wanderklamotten schlüpfen. Ab morgen könnte ich den ganzen Tag lang faul herumliegen. Ein Buch lesen. Die vielen Erkenntnisse und Ideen, die ich auf der Reise gesammelt habe, umsetzen. Ab morgen könnte ich wieder alles sofort tun. Darauf freute ich mich nun. Aber zuerst war heute ja noch nicht vorbei!
Nicht nur einmal klingelte es unerwartet an der Tür. Viele Überraschungsgäste, ein sagenhafter Überraschungskuchen, der cooler nicht hätte sein können, frische Blumen und natürlich jede Menge Sekt warteten auf mich. Auf diesem Wege noch einmal ein ganz großes, dickes, fettes Dankeschön an alle, die mich besucht, an mich gedacht oder auf welchem Wege auch immer gratuliert haben und natürlich an meine Eltern, die sich wieder mehr Arbeit geschafft haben, als ich je erwartet hätte. Das "Nachhausekommen", was für mich einen der wichtigsten Teile einer Reise ausmacht, war ein voller Erfolg und verbleibt in schöner Erinnerung!


Kilometer-Endstand: 758km  
- Zugegeben, es wurden nicht ganz 800
758 gelaufene Kilometer und 78,7 gefahrene Kilometer per Bus, Bahn, Auto oder Anhalter habe ich, zur Hälfte in Begleitung von Danilo, zurückgelegt, um nach Hause zu kommen.

Mittwoch, 24. Februar 2016

whattaday!

Kaum aus der Tür getreten kitzelte die Sonne meine noch schlafenden Lachmuskeln wach. So konnte der Tag doch beginnen! Munter und gut gelaunt stolzierte ich in die weite Welt. Der letzte Tag allein.
Die Stimmung änderte sich plötzlich, als mich Mr. Google über einen eigenartigen Pfad schickte. Ich ging durch die Pforte eines Friedhofes. Was genau sollte ich denn hier? Die dichten, hohen Bäume und die uralten Grabsteine darunter schüchterten mich ein. Es war gruselig, schauderhaft und beeindruckend zugleich. Aber ich war richtig hier. Der Weg führte genau hierhin.

Ich befand mich auf dem Friedhof Hochheimer Höhe. Niemals zuvor habe ich einen solch imposanten, eindrucksvollen und außergewöhnlichen Friedhof gesehen, wenn man einer solchen Stätte überhaupt solche Worte zusprechen darf. So viele würdevolle Grabstätten, solche Größe, wie ich sie in der Form selten gesehen habe. Friedhöfe waren für mich stets unangenehme Plätze, verbunden mit Schmerz und Trauer. Auch Zuflucht und Hoffnung, allerdings nur an sonnigen Tagen. Die Emotionen beim Betreten eines Friedhofes sind aus meiner Sicht schwer zu umfassen. Und doch fesselte dieser mich, sodass ich mir tatsächlich einige Zeit nahm, um mir die einzelnen kleinen Kunstwerke zu Gedenken der Verstorbenen ein wenig genauer anzusehen. Insgesamt fanden hier laut Aufzeichnung bereits rund 70.000 Menschen ihre letzte Ruhestätte. Gefallene unterschiedlichster Nationalitäten aus mehreren Kriegen, Mitglieder der jüdischen Gemeinde und Bewohner aus Worms und Umgebung liegen hier begraben. Bei jedem Grabstein, den ich las, lief es mir eiskalt den Rücken herunter. Nicht nur aus Schauder, sondern auch aus Mitgefühl. Erst nachdem ich die Tore des mit dicken Steinmauern umrahmten Friedhofes durchschritten hatte, linderte die Frühlingssonne meine Gänsehaut.

Eigentlich wollte ich mich auf halber Strecke mit Danilo treffen, der heute in der Nähe arbeitete. Also legte ich Brennholz auf den Kohlenofen und beschleunigte auf GoogleMaps-Tempo. Bergauf, Bergab, querfeld, querwärts. Um nicht an der Straße entlang laufen zu müssen, entschied ich mich durch die Weinberge zu klettern. Noch hatte ich den eigentlichen Weg gut im Blick. Das änderte sich aber schlagartig und die Straße verschwand, ich entfernte mich immer weiter von meiner vorgegebenen Route und jeder Versuch zurück zur Fahrbahn zu kommen scheiterten daran, dass meterhohe Vorsprünge mir einen Strich durch die Rechnung machten. Als ich endlich dachte einen Pfad gefunden zu haben, der mich ins nächste Dorf bringen würde, wurde ich von einer übergroßen Abbaugrube überrascht. Adjoa, das kannst du vergessen. Durch die kletterst du bestimmt nicht durch. Also lief ich das ganze Stück drum herum und verlor massiv an Zeit. Heilfroh war ich, als ich nach ca. 1 Stunde über eine kleine Brücke tatsächlich zurück in die Zivilisation fand. Heute wohl lieber keine Experimente mehr. Aber so oder so klappte es mit unserem Treffen leider nicht, ich war zu spät dran und hatte mich umsonst beeilt. Kurz war ich betrübt, aber hey, das Wetter war so gnädig mit mir, da konnte ich kaum lange schmollig sein. Über Hügel, entlang der Weinreben, durch den dicksten Matschsumpf, dabei stets Sonnenstrahlen im Gesicht; es hätte mich heute weitaus schlimmer treffen können - der Tag war ein Knaller! Mit jeder Stunde musste ich ein Klamottenteil mehr ausziehen und allmählich gingen mir die Ideen aus, wo ich sie verstauen sollte.

In Framersheim, so war mein Plan, wollte ich eine Pause einlegen. Doch um 13:30Uhr fand ich keinen einzigen Laden, der geöffnet hatte, und so fiel das Mittagessen ins Wasser. Das war nun natürlich blöd. Aber mein Tank war noch halb voll und ich nutzte meine übrigen Reserven um möglichst bald in Gau-Weinheim anzukommen.

Mutterseelenallein, abgesehen von den Winzern und Gehilfen, die die Rebstöcke bearbeiteten, lief ich durch die Natur, atmete die frische Frühlingsluft bis ins tiefste Lungenbläschen ein, formte kleine Fältchen an meinen Mundwinkeln und wanderte in absoluter Zufriedenheit vor mich hin.

Auf einmal hörte ich laute Motorgeräusche. Es war kein Traktor, das erkannte ich sofort! Ich drehe ich um und blicke auf die Kuppe des Hügels, den ich gerade bezwungen hatte. Was war das denn?! Ich traute ja meinen Augen nicht! Ein großes, weiß-rotes Gefährt hupte mich an und zwang mich wie angewurzelt stehen zu bleiben. Das war doch wohl nicht sein Ernst, der war doch von Sinnen!
Jetzt stellt euch das einmal vor. Ihr macht einen ziemlich langen Spaziergang durch die Weinberge. Eure Wanderschuhe und die gesamte untere Partie eures Körpers sind bereits vollständig mit einer Schlammschicht überzogen. Ihr würdet euch blendend in einer Lindt-Pralinenschachtel machen. Der viele Regen der letzten Tage hat die wenigen geteerten Parts lückenlos mit Matsch asphaltiert. Jeder Schritt den ihr geht, hinterlässt eine tiefe Spur. Auf eben einem solchen Weg befindet ihr euch gerade. Dann ertönt ein Tuckern hinter dem letzten Hügel, das deutlich näher kommt. Weil ihr wissen wollt, was da vor sich geht und auf ein lautes Hupgeräusch hin dreht ihr euch um und erblickt einen LKW, der sich seinen Weg auf dem schmalen Pfad durch die Pampa bahnt. Wild winkend sitzen 2 Leute darin. Einer davon ist Danilo.

Zuerst wunderte ich mich, wie er mich finden konnte. Doch die Fußspuren, die ich eindeutig und unverkenntlich hinterlassen hatte, waren ein Indiz. Egal. Ich freute mich wie ein Schnitzel! Auch wenn es nur 10 Minuten waren. Ausgestattet mit einer neuen Trinkflasche, einem Kaffeestückchen und 2 Schokoriegeln war ich bereit die restliche Etappe meisterhaft zu bezwingen.

Die Gegend änderte sich kaum. Es blieb schön und einsam. Die Matschmasse unter meinen Schuhen wurde langsam aber sicher richtig schwer und ich war erleichtert, als ich den aufgeweichten Boden gegen festen Untergrund eintauschen konnte. Erinnert ihr euch noch an diese furchtbaren Buffalo Plateau Schuhe aus den 90ern? Ja, in etwa so fühlte es sich an auf Asphalt zu laufen. Ich war locker 5cm größer als normal. Doch bei jedem weiteren Schritt verlor ich an Höhe. Der Schlamm konnte mir nicht standhalten und der Stil meiner Kindheit bestehend aus lehmartigem Sediment bröckelte in seiner Fassade zusammen.

Nach meiner kurzen Einmann-90er-Party hatte ich auch schon Gau-Weinheim erreicht. Etwas unangenehm in meinem Aufzug klingelte ich bei Sabine und Julian. Aber da die Beiden selbst 2 Kids hatten, hoffte ich auch Verständnis. Sabine öffnete mir mit einem herzlichen Lachen die Tür, bat mich ruhig herein und gab mir ein paar Minuten, bis ich mich von meiner maßangefertigten Garderobe befreit hatte. Es war wohl das Beste für alle Beteiligten nach der kurzen Begrüßung augenblicklich unter die Dusche zu springen. In sauberen Klamotten und frischer Aufmachung präsentierte ich mich zurück und pünktlich zum Abendessen. Anschließend wurde die Schlafenszeit für die beiden Kurzen eingeläutet. Die Kleine bekam ein Fläschchen, der Große eine Gutenachtgeschichte, der auch ich mit Freuden lauschte. Es ist so schön zu sehen, dass unter all den Dingen, die sich seit meiner Kindheit verändert haben, solche Werte doch immer noch geschätzt und weitergegeben werden. Für Geschichten ist man doch nie zu alt!

Wir "Erwachsenen" trafen uns später im Wohnzimmer wieder zusammen, naschten ein paar Gummibärchen und quatschten. Besonders witzig fanden wir die Tatsache, dass ich heute Nacht nur schlappe 20 Autominuten von meiner Heimat entfernt couchsurfte. Ein komisches Gefühl so nah am Ziel zu sein und doch nicht in gewohnter Umgebung zu nächtigen, sondern bei wildfremden, aber dennoch sehr lieben Menschen. Ich fühlte mich sehr wohl in der kleinen Familie und ging zufrieden über die Geschehnisse des Tages in mein eigenes Bett, in meinem zu Eigen überlassenen Zimmer.

Impressionen:

Jegliche Versuche mich vor Ankunft zu säubern scheitern...
Der letzte Tunnel!

Kilometerstand: 737km

Dienstag, 23. Februar 2016

Keine halben Sachen...oder doch?

Der erste Blick aus dem Fenster warf runzlige Falten auf meine Stirn, meine Augenbrauen fuhren nach oben, meine Augen wurden groß, denn sie glaubten nicht, was sie sahen. Schnee. Schnee? Hier? Heute?  Wer weiß, was da gestern in der Suppe drin war. Ich ignorierte die weißen Flocken am Fenster und schlüpfte erst einmal in meine Uniform. Dann füllte ich meine Wasserflasche auf, zog alle Schnüre fest und bewegte mich Richtung Haustür. Als ich sie öffnete, landete etwas Großes, Weißes, mit geringem Gewicht aber sehr Kaltes auf meiner Nasenspitze. Sofort verwandelte es sich in einen dicken Wassertropfen und fiel zu Boden. Ich hatte mich nicht geirrt; es schneite. Die hellen Punkte in der Luft malten mir ein Lächeln aufs Gesicht. Und so lief ich in die Stadt, auf der Suche nach einer Bäckerei. Die fand ich auch bald. Was ich auf dem Weg noch fand, war eine Kirchturmspitze, die irgendwie interessant aussah. Bevor ich Ludwigshafen verlasse, würde ich sie mir mal genauer anschauen. So der Plan. Ich fand eine kleine, goldige Bäckerei, setzte mich hinein und trank einen Kakao, dazu ein belegtes Brötchen. Ich sah den Flocken beim Fallen zu, wie sie von da ganz oben ohne Halt neben tausenden Gleichgesinnten hinuntersausten, um auf dem harten, schmutzigen Stadtasphalt aufzukommen und sich schlagartig in Wasser zu verwandeln, dass in wenigen Minuten in den Tiefen unter einem alten, dunklen, dreckigen Gullideckel verschwinden würde. Nein, ich wollte keine Schneeflocke sein. Wenigstens keine, die in der Stadt hinunterrieselt.

So. Die Kirche wollte ich mir anschauen. Na dann mal los. Wo ist sie denn? Ich hielt Ausschau nach dem Kirchturm, konnte ihn aber beim besten Willen nicht finden. Er musste sich irgendwo hinter diesen hohen Häusern vor mir verstecken. Aber er konnte ja bloß ein paar Straßen entfernt von hier stehen. Also lief ich auf gut Glück los. Und lief. Und lief. Und versagte. Na sowas, vielleicht gehe ich mal ein Stückchen raus aus der Innenstadt, dann müsste er doch wieder auftauchen. Ein ganz schön weites Stückchen und ich fand ihn wieder. Na also, da entlang. Gespannt und halbwegs orientiert lief ich zurück in die Gebäudetürme, die mich wie ein Winzling aussehen ließen. Hier musste es sein. Irgendwo. Aber...wo ist er denn nun schon wieder?! Das gibt's doch gar nicht! Welches Spiel spielst du? Jetzt reicht es mir aber! Ich zog mein Handy aus der Tasche und fragte Mr. Google nach Rat. Sapperlot noch eins, sogar er wusste mir nicht zu helfen. Keine Kirche in sichtbarer Nähe, die der gesuchten entsprach. Da brat mir doch einer 'nen Storch! Langsam fing ich an zu zweifeln. Doch komme was wolle, ich würde Ludwigshafen nicht verlassen, ohne diesen blöden Kirchturm gefunden zu haben. So blöde konnte ja selbst ich nicht sein! Es blieb nun bloß die Möglichkeit das Straßenschachfeld abzulaufen. Eben dies tat ich. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich mich seit bereits 43 Minuten auf der Suche befand. Peinlich.

"Warum bauen die hier auch überall diese riesigen Bauten hin, ist doch klar, dass man hier nichts finden kann!", Gedanken eines Dorfkindes. Aber dann, endlich, tatsächlich hatte ich das blöde Ding mit der großen Uhr und der Glocke oben drin gefunden. Und war bitter enttäuscht. Nun erklärte sich auch, warum ich diese riesige Kirche nicht gefunden hatte. -.-

Ähhhm, wo ist denn...dein...Hinterteil?
...Zu viel Sandstein-Diät?!

Im Nachhinein fand ich heraus, dass es sich hierbei um den Lutherturm der ehemaligen Lutherkirche mit dazugehörigem Lutherplatz und Lutherbrunnen handelte. Sein "Hinterteil" verlor sie, als sie dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer fiel. Bitte entschuldige, dass ich mich zuvor unwissentlich über dein Heck lustig gemacht habe. Kommt nie wieder vor.

Immerhin konnte ich über meine neu gelevelte Dummheit lachen und zufrieden loswandern.
Der Schneefall hatte sich mittlerweile in Luft aufgelöst, Feuchtigkeit lag in der Luft. Sie war überraschend klar und angenehm. Der Weg lief sich einfach und schnell, nachdem ich die unendlich große BASF Landschaft hinter mir gelassen hatte. Einige Zeit lief ich direkt am Rhein entlang, keine Städte oder Dörfer lagen auf meiner Route. Mittagspause machte ich in einer verlassenen Bushaltestelle. Kaum ein Auto kreuzte meine Spur, bloß ein paar Spaziergänger mit ihren Hunden, Kindern und Enkelkindern, gelegentlich ein Storch oder Fischreiher. 

Anders sein ist schön!


So kam ich ohne größere Zwischenstopps zeitig in Worms an und konnte auch hier ab und zu abseits des Weges ein paar Sehenswürdigkeiten anschauen. In Worms. Das gerade einmal 40 Minuten von meiner alten Heimat entfernt liegt und noch nie von mir beachtet worden war. Armes Worms!
Der Wormser Dom
Der heute bewohnte Wasserturm

Mit den letzten Sonnenstrahlen des Tages fiel ich bei Ramona ein. Sie hostete mich in ihrem kleinen Zimmer im Studentenwohnheim. Aber es fand sich Platz für eine schmale Matratze und einen Schlafsack; was braucht man auch mehr? Absolut studentenkonform gab es Nudeln mit individueller Soße zum Abendessen. Ramona ist einer dieser Menschen, wie ich sie so oft auf diesem Trip getroffen habe, die mir den Blick auf viele Dinge extrem erweitern und ganz neue Denkrichtungen anschneiden. Wenngleich wir uns doch nur eine halbe Stunde kannten, erzählten wir uns Dinge und Erfahrungen, die kaum einer meiner besten Freunde wissen. Man erzählt miteinander, als würde man sich ewig kennen und habe sich nur eine ganze Weile nicht mehr gesehen. Ihre travelers vitae beeindruckte mich stark. Wieder so viele Länder und Kulturen, mit denen ich bisher noch nie in Berührung gekommen bin. Sie teilte tolle Erinnerungen mit mir und ich kam sofort ins Reisefieber, obgleich ich mich doch gerade auf einer solchen befand. Das menschliche Hirn eines Backpackers ist verrückt und unersättlich, gierig nach Bildern, Gefühlen, dem Unbekannten.
Auch wenn es nur eine sehr, sehr kurze Zeit war, ich bin sehr Dankbar für diesen Aufenthalt!

Impressionen: 
Der Beweis: Ludwigshafen ist gar nicht so langweilig wie alle sagen. Ich finds super hier! :)
Ramona & Adjoa, kurz vorm Schlafengehen

Kilometerstand: 701km

Montag, 22. Februar 2016

Heidelberg - Mannheim - Ludwigshafen

Heidelberg zeigte sich heute Morgen nicht gerade von seiner charmantesten Seite. Grau in Grau lag die Stadt, sodass ich kaum Lust verspürte mir sie nur irgend genauer anzusehen. Es tut mir Leid, liebes Heidelberg, habe ich doch bislang so schöne Dinge von dir gehört! Ich werde dir zu gegebener Stunde eine zweite Chance geben, hoffentlich im Sommer, bei Sonne, Windstärken unter 37km/h und heißen Temperaturen.

Ein kurzer Besuch im Supermarkt, dann kehrte ich Heidelberg entschlossen den Rücken zu und verließ es, ohne mich noch einmal umzudrehen. Irgendwie freute ich mich aus der Stadt herauszukommen und das laute und hektische Leben hier hinter mir zu lassen. Ein typisches Empfinden wenn man zu Fuß auf Reisen ist. Erst freut man sich wahnsinnig auf die Stadt, auf Geschäfte, Menschen, Zivilisation. Sobald man sich inmitten dessen befindet, sehnt man sich nach der Sekunde, in der man sie wieder verlässt.

Aus irgendeinem Grund bin ich heute sehr unfit. Das Laufen fällt mich unglaublich schwer, obwohl ich heute Morgen noch schnell meine Blasen verarztet und das letzte Rheinwasser aus ihnen herausgedrückt habe. Widerwertig, ich weiß. Aber wer mitliest, leidet mit. Der ständige Wind, der mich von meinem Weg verstößt, macht mir den Marsch madig. Ich bin es heute richtig leid den dritten Tag in Folge gegen dieses Vollgebläse anzulaufen und schlichtweg erschöpft und ausgelaugt. Darum komme ich auch nur im Schneckentempo voran. Viel zu sehen gab es auf der Strecke auch nicht, was mich hätte aufmuntern können. Das ist wohl der Augenblick, in dem ich den ultimativen Kampf mit meinen Schweinehund austragen muss. Man muss sich eben seine ganz eigenen phsychologischen Gehhilfen bauen. Zum Beispiel ein Stück Schokolade im nächsten Ort.
Schwetzigen erhellte meine Miene vorübergehend mit dem Anblick seines Schlosses und einem Hauch von blauem Himmel. 


Je näher ich an Mannheim herankam, desto komischer schauten die Leute mich an. Da standen sie, mit offenen Mündern und eingefrorenem Gesicht, die Nase gerümpft und versuchten zu verstehen, was sie gerade an ihnen vorbeilaufen sahen. Normalerweise lassen mich die doofen Blicke kalt, doch heute nervten sie mich. Sie drehen sich sogar um und schauen mir nach, dabei ist ihr Gesicht wie gebotoxt und ein Zusammenstoß mit anderen Fußgängern vorprogrammiert. Manchmal blinzelten sie sogar, aber nur selten und ganz schnell, um keinen der Schritte dieses Geschöpfes mit dem großen roten Rucksack zu verpassen. Man konnte sehen, wie die Rädchen in ihren Köpfen sich drehten, allerdings rückwärts und gegeneinander, bis die ganze Konstruktion im Kopf explodierte, sie sich rüttelten und schüttelten und schließlich verwirrt und geistesgegenwärtig ihren Weg weitergingen. Lieber sind mir doch die Leute, dich mich ansprechen und nachfragen, was ich tue. Auch wenn es nicht jeder Einzelne verstehen kann, warum ich mir den Marsch aufzwinge, sie sind beeindruckt und wünschen mir alles Gute für die Weiterreise. Weitaus angenehmer als diese Schaulustigen Hirntoten, die mich mit ihren Blicken löchern.

In Seckenhausen machte ich Rast und fand Unterschlupf in einer Bäckerei. Die Sitzecke lud zum Lümmeln ein. Also bestellte ich mir ein leckeres, gesundes, belegtes Brot und pflanzte mich in eines der Polster. Ruhig. Entspannt. Gutes Essen. Die Tür geht auf. 3 Jugendliche kommen herein. Sie kaufen nichts. Sie setzen sich press neben mich. "Ey, isch hab heut den Marco aus der 6. verprügelt. Wusste nit, dass der erst 12 ist! Ey, wenn der misch anzeischt, dann hau isch Familie...!!!1!"
Jaaaa, genau. RTL live vor meinen Augen. Halloooo Mannheim! Als aus den 3 Schülern 6 wurden, wusste ich, dass ich hier nichts verloren hatte. Ich brach meine Pause ab und machte mich wieder auf die Socken.

In Mannheim traute sich die Sonne heraus und zauberte mir das erste Lächeln am heutigen Tage ins Gesicht. Auch die Stadt wird immer ansehnlicher. Gerade hatte ich mich mit der Stadt versöhnt, wurde ich auf die Konrad-Adenauer-Brücke geleitet, um Baden-Württemberg ein für alle Mal zu verlassen. Beim Überqueren sammelte ich all die warmen Sonnenstrahlen ein und freute mich über das flutende Licht des brennenden Himmelskörpers, der mein Gemüt positiv stimmte.

Schwubsdiwubs stand ich mit beiden Füßen in Ludwigshafen, ein paar Minuten später auch schon vor der Tür von Mirjam und Boris. Mirjam war noch nicht zu Hause doch Boris ließ mich herein und zeigte mir die Wohnung unter dem Dach mit dem tollen Gemeinschaftsraum und seinen hohen Decken und Balken, die mich sehr beeindruckte. Abends wurde es voll, als Mirjam und später noch eine Freundin der beiden eintrudelten. Boris übernahm den kochenden Part, während die weibliche Fraktion am Tisch erzählte und servierte uns am Abend eine verdammt leckere Linsensuppe mit Kokos, Curry und irgendwelchen Gewürz, die es mächtig in sich hatten. Super lecker und genau das Richtige für einen ausgehungerten Backpacker. Dabei unterhielten wir uns wild durch alle Themen der Welt, woraus ich sehr viel neue Sichtweisen und Ideen kennenlerne und mitnehmen konnte, tranken eine ganze Kanne Tee und verlagerten die Runde anschließend in den Nebenraum, wo wir mit Beamer und Schokolade alle zusammen einen Film anschauten. Kurz vor Mitternacht legte jeder sowohl körperlich als auch intellektuell gesättigt in seine eigene Koje und schlummerte davon.
Mit und ohne special effects

Kilometerstand: 677km

Sonntag, 21. Februar 2016

Into the Rhine - Ein bisschen barfuß schadet nie

Als der Wecker klingelte, brachte ich ihn schnellstens zum Schweigen und drehte mich getrost noch einmal um. Das Recht nahm ich mir nach der gestrigen Etappe einfach einmal heraus.
Aber um 08:00 Uhr war trotzdem Schluss mit lustig. Ich quälte mich aus dem Bett und plumpste gleich wieder rücklings um. So konnte ich nicht aufstehen, zuerst musste ich meine Blasen operieren!

Ich kann mir weit Schöneres vorstellen, als am frühen Morgen mit einer Nadel in halbtotem Gewebe herumzustochern und 3 Liter Flüssigkeit durch eine kleine Öffnung zu pressen. Aber was sein muss, muss sein.

Beim zweiten Versuch aufzustehen stand ich gleich 1cm tiefer. Jetzt konnte es losgehen!
Schnell noch ein Foto!

Beim Bäcker genehmigte ich mir zur Feier des Tages ein leckeres Schokocroissant, in das ich gleich herzhaft hineinlangte und es nach dreieinhalb Bissen komplett verputzt hatte. Das war gut! Und weiter gehts! Mein Weg führte mich zunächst nach Speyer. Sabrina meinte noch, dass sie heute auch nach Speyer fahren würde. Kaum 2 Stunden on the road und ein Auto hupte; es war tatsächlich Sabrina, die mich so frech und zügig überholte! Etwas neidisch blickte ich ihr nach, freute mich aber auch über diesen Zufall.

Nicht lange und ich kam in Speyer an. Auch wenn das Wetter wieder nicht mitspielte, irgendwas hatte die Stadt an sich. Besonders bewunderte ich die vielen alten Gebäude, Gemäuer, die schon einige Tage, Jahre und Jahrzehnte gesehen hatten, Fassaden, die bröckelig standhielten. 



Im Park am Dom machte ich eine kleine Pause. Ich nahm ein paar kräftige Bisse von meinem von gestern übrig gebliebenen Lunchpaket und studierte die heutige Route. Es gab 2 Optionen: Direkt am Rhein oder irgendwo an der Straße entlang. Die Entscheidung war schnell gefällt.
Bevor der Regen in vollen Zügen loslegte, sattelte ich die Pferde und suchte einen Weg auf die Salierbrücke, die mich zurück nach Baden-Württemberg bringen würde. Ein letztes Mal Baden-Württemberg. Kaum war ich drüben, wurde ich von einigen Autos angehupt und gefeiert. Warum? Das weiß ich bis heute nicht. Die Prozedur geschah 3 oder 4 Mal im Abstand von ein paar Minuten. Ich freute mich einfach mit den Leuten und versuchte nicht nach einer Erklärung zu suchen.
Dann ging es direkt hinunter zum Rhein. Ein steiniger Weg führte mich am Ufer entlang. Ich teilte mir den Weg mit ein paar Spaziergängern und Vierbeinern. Zunächst schwamm ich mit dem Strom, im Gegenzug kamen mir einige Leute entgegen. Irgendwann änderte sich das Bild und ich war alleine auf der rechten Spur; es herrschte nur noch Gegenverkehr. Naiv wie ich war dachte ich mir nichts dabei und genoss den Blick auf den Rhein und die Regenpause.

Noch ist alles cool...

Verdächtig wurde es allerdings, als ein Radfahrer mit Hund im Schlepptau zuerst an mir vorbeifuhr, allerdings schon nach 2 Minuten in der Ferne umkehrte und zurückfuhr. "Mensch, ist das ein fauler Sack!", dachte ich laut. Er fuhr an mir vorbei und ich schaute in fragend an.

Dann passierte, was ich nicht glauben konnte. Ein Déjà Vu! Überall ist Wasser! Links, rechts und vor mir! Nicht schon wieder! Da hatte ich erneut so viel vor mich hingeträumt, dass mir das Malheur von gestern doch tatsächlich wiederholte! Hätte der Kerl auf dem Fahrrad nicht mal eine Warnung geben können?!
Ich befand mich seit einer guten Stunde auf diesem Inselarm und hatte nur wenig Lust die ganze Strecke zurückzulaufen. Das würde ich auch nicht tun, niemals! Und wenn ich heute Otter spielen müsste - ich gehe den Weg nicht zurück! Der Entschluss saß. Aber zur Erinnerung: Ich war auch über Nacht nicht zum Otter mutiert.

Nachdem ich mich ein wenig beruhigt hatte, studierte ich die Situation und versuchte mit meinem durchschnittlich ausgeprägtem Augenmaß abzuschätzen, ob es einen Weg aufs, übers, durchs oder unters Wasser geben würde. Schneller als ich mich versehen konnte, hatte ich meine Wanderschuhe und Socken ausgezogen, die Hosen so weit es geht nach oben gekrempelt, alle losen Teile im Rucksack verstaut oder fest am Körper angebunden und stand barfuß vor der rund 15 Meter breiten Öffnung des Kanals, der sich schon wieder heimlich neben mir gebildet hatte. Im Sommer, so war ich mir sicher, konnte man hier bestimmt mit Leichtigkeit durchlaufen. Warum dann nicht auch im Winter? Ich konnte große Steine unter der Wasseroberfläche erkennen, die mit Algen und Schlamm zugekleistert waren. Nicht ganz ungefährlich. Würde ich in das eisige Wasser hineinplumpsen, wäre der Trip erst einmal gegessen. Mit Glück würden Kamera und Handy überleben. Oder ich würde in den Rhein hineinrutschen und eine Runde Wasserbahn fahren. Aber bevor ich zurücklaufen müsste, war es mir das Risiko durchaus wert.

Vorsichtig setzte ich den ersten Schritt auf vorderste Steinplatte und merkte, wie ich langsam nach unten rutschte. Der Schlamm quatschte zwischen meinen Zehen hindurch; bis jetzt hatte ich noch keinen Tropfen Wasser berührt. Mit einem eigenartig eleganten Hechtsprung steuerte ich aufs Wasser zu und fand im letzten Moment mit wild wirbelnden Armen Halt auf dem ersten Stein, der sich einen Unterschenkel tief im Wasser befand. Puh, alles ist gut! Verflixt kalt, die Suppe! Meine Beine fühlten sich an, als würden Millionen kleiner Piranhas an meinen Waden nuckeln. Jeder einzelne Schritt war so gut es ging durchdacht. Einige erfolgreich. Andere nicht. Dann musste ich erneut kräftig rudern, um nicht in die großen Löcher zwischen den Steinen zu schliddern. Meine Zehen waren mir keine große Hilfe um die Balance zu finden, waren sie wohl schon eingefroren oder im Mund eines Karpfen verschwunden - ich hätte den Unterschied nicht gemerkt.

Noch 3 große Schritte und ich würde Land betreten! Zwar nicht aufrecht, dafür auf allen vieren mit Rucksack auf dem Buckel wie eine Meeresschildkröte und meterbreitem Grinsen krabbelte ich den kleinen Hügel hinauf und wusste: ICH HABE ES GESCHAFFT! Ein kleiner Schritt für einen Menschen, ein großer Sprung für Adjoa!

Auch wenn ich sie nicht mehr spüre, sie sind noch da, alle Zeh(e)n!!

Bepinselt und geballt mit Endorphinen über dieses Erfolgserlebnis tupfte ich meine Füße, Unterschenkel und Hose mit der Ration zusammengeschnorrter Taschentücher und Klopapierrollen, die ich stets für die ständig laufende Nase im Gepäck habe, trocken und packte meine Füße zurück in die unversehrten, trockenen Wanderschuhe. Ich war heilfroh, dass mich bei der Aktion niemand beobachtet hat und das der Frachter, der wenige Minuten später an mir vorbeifuhr, nicht eher hier gewesen und ein paar heftige Wellen rüber geschickt hatte. Dann wäre ich sicherlich über Bord gegangen. Nun konnte mir kein Hindernis der Welt mehr den Weg versperren, ich war voller Tatendrang und gewillt die letzten Kilometer einfach herunterzureißen.

So lief ich Meter für Meter, immer weiter, bis ich irgendwann in Heidelberg ankam. Auf dem Weg fand ich sogar noch einen 5-Euro-Schein und freute mich wie Bolle über das soeben erlangte morgige Frühstück.

Eigentlich wollte ich bei meinem Zwischenstopp in Heidelberg eine Freundin besuchen. Leider war sie gerade in Urlaub und so konnten wir uns nicht treffen. Aber sie war so nett mir ihr WG-Zimmer zur Verfügung zu stellen, was ich sehr begrüßte. Aber ihre Mitbewohner waren da und kümmerten sich herzlich um mich. Bei Tee und Keksen erzählte ich von meinen bisherigen Erlebnissen. Im Gegenzug erfuhr ich von äußerst attraktiven Wandertouren, die ab nun auch auf meiner Liste stehen. Wir konnten uns gut austauschen und unterhielten uns prächtig, bis meine Augenlieder das Licht ausknipsten und ich mit jeder Menge aufregenden Bildern in meinem Kopf ins Land der Träume abtauchte. Danke Mara, für dein warmes Bett!!! :) Und auch ein fettes Dankeschön geht an die Mitbewohner!!

Impressionen:
Der Anfang des Tages. Keiner von uns beiden hat Bock heute hier zu sein...
...bloß dass er davonfliegen kann
Ein Siegerfoto!!!

Kilometerstand: 654km

Samstag, 20. Februar 2016

Heute ist der Otter drin

Heute ist Samstag. Ich mag Samstage nicht. Im Lauf-Business ist der Samstag, wenigstens in Deutschland, ein Overkill. Warum? Am Samstag muss all das eingekauft werden, was für zwei Tage reichen muss. Und das ist bei meinen Bedürfnissen ein ordentliches Paket. Das Gute daran: Das Paket wird von Stunde zu Stunde leichter.

Lisa, meine Gastgeberin, kämpfte sich wahrhaftig um irgendwas mit 7 Uhr aus den Federn um in die Uni zu fahren und dort fleißig zu Lernen. Dabei war sie so mucksmäuschenstill, dass ich getrost noch eine Runde weiterschlummern konnte. Das nenne ich Disziplin. Also bei Lisa, nicht bei mir.
Aufgrund dieses fast nächtlichen Abschiedes habe ich es doch schon wieder verpasst einen Schnappschuss auszulösen, darum, liebe Lisa, habe ich heute leider kein Foto für dich. Beim nächsten Mal holen wir das nach!! :)

Nach einem ausgiebigen Shopping Trip im Supermarkt fühlte ich mich gewappnet den bevorstehenden Supermarsch von 32 Kilometern hinter mich zu bringen. Auch, wenn das Wetter mich heute schon wieder ärgern wollte. Sturm, Regen, Nässe und Kälte folgten mir bei Fuß.
Brav folgte ich wiederum Mr. Google. Bereits während dem Laufen guckte ich mir auf der Karte einen Ort heraus, wo ich meine Mittagspause halten könnte. Auf der Routenplanung wurde mir eine Übersetzung mit der Fähre angezeigt; na wenn das nicht der perfekte Platz für ein Stück herzhaftes Brot, Käs und Woscht ist! Also stiefelte ich vollstens motiviert durch den Eintopf aus knöcheltiefem Morast, nüchterner Kälte und nötigenden Windböen, die dem Ganzen den letzten Pfiff gaben.

Einige Schritte später hatte ich tatsächlich die Fähre erreicht und freute mich darauf zum ersten Mal seit Wochen wieder rheinland-pfälzischen Boden zu betreten. "Ganz schön wenig los hier", wunderte ich mich und hielt nach einem Fahrplan Ausschau, in der Hoffnung, dass ich nicht stundenlang auf die nächste Fahrt warten müsste. Na dann wollen wir doch mal sehen. Mit dem Zeigefinger wischte ich die dicken Regentropfen von dem schon angemoosten Plastikschutz der Fahrzeitentafel. Dann konnte ich erkennen, dass darauf die 12 Monate abgebildet waren. Ich suchte nach dem Februar. "Fahrten nur bei gutem Wetter". Ähm, wie war das? Bei gutem Wetter? Geht's denn noch? Ich finde Regen, Sturm und Kälte sind super Wetter! Schließlich stampfe ich doch auch hier herum! Zu meiner Empörung las ich den Satz noch einmal und versuchte ihn schnappatmend zu verinnerlichen. Die sich vermehrenden Regentropfen sammelten sich bereits in meinen hochgezogenen Augenbrauen, rinnen hinunter und tropften mir von der Nasenspitze schnurstracks in meinen noch immer von Unverständnis gelähmten Mund, der sperrangelweit offen stand und nach Luft japste.

Kurzerhand fand ich meine Fassung wieder und schaltete mein Hirn ein, um eine Alternative zu finden irgendwie auf die andere Seite zu gelangen. Die Alternative entlarvte sich als 5-Kilometer-Umweg durch die Walachei. Aber wenigstens immer am Rhein entlang, auf den ich mich doch auch so lange gefreut hatte. Die Freude sollte mir aber bald vergehen.

Um aus den 5 wenigstens eine 3,5 zu machen, entschied ich mich Mr. Google zu ignorieren und mir einen eigenen Weg zu bahnen, der mir weit kürzer erschien als die vorgegebene Route. Das klappte auch alles wunderbar, bis...ich plötzlich eine interessante Entdeckung machte. Die ganze Zeit lang war ich dem Rhein gefolgt, der fröhlich und unbeschwert zu meiner Linken vor sich hin wuselte. Auf einmal hörte ich auch auf der rechten Seite fließendes Gewässer und erhaschte einen Blick durch das Dickicht. Tatsächlich, da war ein Fluss oder besser ein Kanal. Wie schön. Ich lief weiter, ohne darüber nachzudenken, was das bedeuten könnte. Ohnehin hatte ich genug damit zu tun auf dem rutschigen Pfad nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Außerdem musste ich die Schiffe beobachten, die über den Rhein schipperten und fragte mich, was Victoria, Aragon, Cristina, Regina und Co. wohl in ihren überlangen Körpern transportierten und wohin sie unterwegs waren.

Dann aber riss mich etwas ganz anderes aus meinen Tagträumen. Und zwar diese ungewöhnlich große, sich bewegende Pfütze direkt vor mir. Diese, die weit größer war, als jene, in denen ich zuvor versucht hatte meine Füße zu versenken. Mir wurde klar, dass ich ab nun eingeschlossen war. Konnte das wirklich sein? Ja, konnte es. Mir blieb nichts anderes übrig, als kehrtzumachen und das ganze Stück zurückzulaufen. Zurück an der Kreuzung, die ich zuvor nicht wahrgenommen hatte, gab es einen Damm, der mich eventuell aus dem eingrenzenden Wasser hinausholen könnte. Hätte ich nur mal auf Mr. Google gehört...

Wenigstens führte mich der Erdwall tatsächlich aus meiner misslichen Lage heraus. Er schlängelte sich maßangeglichen wie ein Aal entlang des Kanals, der mich von meiner heiß und lange ersehnten Mittagspause am anderen Ufer trennte. Eine riesige Schleife musste abgelaufen werden, um endlich wieder Zivilisation zu erreichen. Zwar konnte ich die Häuser und Straßen sehen, waren sie doch bloß knappe 10 Meter von mir entfernt, nur konnte ich ums Verrecken nicht auf die andere Seite gelangen, was mich schier wahnsinnig machte. Wie das Pferd, das der Karotte nachjagt.

Unterdessen ich mich mit der Frage beschäftigte in welcher Pechsträhne ich mich heute verfangen hatte, schwamm ein Otter an mir vorbei. Er schenkte mir keine Aufmerksamkeit, kein Ottermitleid, nicht einmal einen müden Blick und paddelte wie selbstverständlich den Kanal entlang. Wahrscheinlich wunderte er sich darüber, wie blöd ich war, dass ich nicht einfach wie er durchs Wasser schwamm. Wenn er gekonnt hätte, hätte er mich sicherlich ausgelacht und die Otterzunge herausgestreckt.

Eine gute Stunde später stand ich auf befestigtem Boden. Verzweifelt hielt ich nach einer überdachten Bushaltestelle Ausschau, um endlich etwas Nahrung zu mir zu nehmen, ohne dass der Regen sie vor meinen Augen zersetzen würde. Weit und breit war keine Überdachung, keine Bank, kein trockenes Plätzchen zu finden. Geschlossene Fensterläden, unbelebte Häuser, nicht einmal ein Auto fuhr die Straße entlang. Auf jedem Friedhof war mehr Leben als in diesem Kaff. Doch dann entdeckte ich ein etwas ungewöhnliches, aber absolut legitimes Pausenhäuschen!
Ein wenig armselig, aber halbwegs trocken!
Geheimtipp für die Zukunft: Spielplätze!

Immer noch klatschnass, dafür mit vollem Bauch marschierte ich weiter. Der Wind pustete mich von links nach rechts, gelegentlich bekam ich eine fiese Regenklatsche. Der Weg wurde von Mal zu Mal grauenhafter und die Krönung war die Überquerung der Rudolf-von-Habsburg-Brücke nach Germersheim, auf der ich so richtig herumgewedelt wurde. Von Brüstung zur Leitplanke, von der Leitplanke zur Brüstung. Pingpong-bridging vom Allerfeinsten.

Wenn ich mich jetzt stets an Mr. Google halte, sollte ich den Endpunkt in eineinhalb Stunden erreicht haben, also gib Gummi! Gleich nach diesem Entschluss folgte der dritte Streich und der Mister führte mich auf einen Pfad, den es Dank eines Industriegebietes nun gar nicht mehr gibt. Wieder stand ich ratlos da, wieder bemühte ich mich einen anderen Weg zu finden. Das Tageslicht wurde allmählich knapp.

Ich kann gar nicht mehr nachvollziehen, wie ich Germersheim verlassen habe, doch eine halbe Stunde später fand ich mich in einem Waldstück wieder. In der progressiven Dämmerung war mir das aber alles andere als genehm, also legte ich noch einen Zahn zu.

Mit meiner Gastgeberin Sabrina hatte ich den Treffpunkt in Lingenfeld am Bahnhof vereinbart. Dort würde mich ihr Lebensgefährte einsammeln und nach Römerberg bringen. Bildlich sah ich schon die schwachen Laternen am Bahnhof in der Ferne vor mir, als ich durch den dunklen Wald tapste, mit gespitzten Ohren, die jedes kleinste Geräusch wahrnahmen und mir eine Adrenalinspritze verpassten. In einer solchen Situation klingt jedes kleinste Rascheln wie eine riesige, monströse Bedrohung. Etwas knallte in der Ferne, dann herrschte wieder Stille. Die Stille, die nur ein düsterer Wald aussenden kann. Überall beobachten dich unsichtbare Augen und verfolgen dich auf Schritt und Tritt. Der Pfad wurde immer enger, die Büsche immer dichter, bald konnte ich die Hand vor den Augen nicht mehr sehen und entschloss mich den letzten Kilometer so gut es ging zu rennen. Meine schmerzenden Füße und die neue Blase, die ich mir heute gelaufen hatte, beeinträchtigten mich merklich.

Doch dann, da vorn, Lichter! Das wurde aber auch Zeit! Völlig aus der Puste rannte ich den Schotter hinauf, über die Bahngleisen und war heilfroh, als ich David traf, der mich bereits erwartete. Er lud mich und meinen Backpack ins Auto und brachte mich in mein heutiges Zuhause. Dort genoss ich zu allererst eine heiße Dusche, befreite mich von Schlamm, Kälte und der leichten Panik, die sich in mir breitgemacht hatte. Ein beruhigender Tee und Kater Oli auf dem Schoss und gleich ging es mir um Welten besser.

Später kam Sabrina von der Arbeit nach Hause. Wir verbrachten eine ganze Weile am Esstisch und erzählen. Die Beiden haben dieses alte Haus selbst renoviert und komplett neu aufgezogen. Dabei haben sie überall versteckte Räume und andere Überraschungen gefunden. Der Umbau wird sich noch einige Zeit hinziehen, doch ich freue mich für die Zwei, wenn alles in absehbarer Zukunft einmal fertig sein wird. Leider schaffte ich es nicht lange gerade auf dem Stuhl zu sitzen; ich war hundemüde und merkte, dass mein Körper Schlaf und Ruhe forderte. Aus den ursprünglichen 32 waren heute ja auch schließlich spitzenwertige 37 Kilometer geworden. Darum verabschiedete ich mich bald und mumifizierte mich in das gemütliche Bett, lauschte einem Hörbuch zur Entspannung und schlief seelenruhig ein.

Impressionen:
Heute nicht.
 
Kilometerstand: 624km