Dienstag, 23. Februar 2016

Keine halben Sachen...oder doch?

Der erste Blick aus dem Fenster warf runzlige Falten auf meine Stirn, meine Augenbrauen fuhren nach oben, meine Augen wurden groß, denn sie glaubten nicht, was sie sahen. Schnee. Schnee? Hier? Heute?  Wer weiß, was da gestern in der Suppe drin war. Ich ignorierte die weißen Flocken am Fenster und schlüpfte erst einmal in meine Uniform. Dann füllte ich meine Wasserflasche auf, zog alle Schnüre fest und bewegte mich Richtung Haustür. Als ich sie öffnete, landete etwas Großes, Weißes, mit geringem Gewicht aber sehr Kaltes auf meiner Nasenspitze. Sofort verwandelte es sich in einen dicken Wassertropfen und fiel zu Boden. Ich hatte mich nicht geirrt; es schneite. Die hellen Punkte in der Luft malten mir ein Lächeln aufs Gesicht. Und so lief ich in die Stadt, auf der Suche nach einer Bäckerei. Die fand ich auch bald. Was ich auf dem Weg noch fand, war eine Kirchturmspitze, die irgendwie interessant aussah. Bevor ich Ludwigshafen verlasse, würde ich sie mir mal genauer anschauen. So der Plan. Ich fand eine kleine, goldige Bäckerei, setzte mich hinein und trank einen Kakao, dazu ein belegtes Brötchen. Ich sah den Flocken beim Fallen zu, wie sie von da ganz oben ohne Halt neben tausenden Gleichgesinnten hinuntersausten, um auf dem harten, schmutzigen Stadtasphalt aufzukommen und sich schlagartig in Wasser zu verwandeln, dass in wenigen Minuten in den Tiefen unter einem alten, dunklen, dreckigen Gullideckel verschwinden würde. Nein, ich wollte keine Schneeflocke sein. Wenigstens keine, die in der Stadt hinunterrieselt.

So. Die Kirche wollte ich mir anschauen. Na dann mal los. Wo ist sie denn? Ich hielt Ausschau nach dem Kirchturm, konnte ihn aber beim besten Willen nicht finden. Er musste sich irgendwo hinter diesen hohen Häusern vor mir verstecken. Aber er konnte ja bloß ein paar Straßen entfernt von hier stehen. Also lief ich auf gut Glück los. Und lief. Und lief. Und versagte. Na sowas, vielleicht gehe ich mal ein Stückchen raus aus der Innenstadt, dann müsste er doch wieder auftauchen. Ein ganz schön weites Stückchen und ich fand ihn wieder. Na also, da entlang. Gespannt und halbwegs orientiert lief ich zurück in die Gebäudetürme, die mich wie ein Winzling aussehen ließen. Hier musste es sein. Irgendwo. Aber...wo ist er denn nun schon wieder?! Das gibt's doch gar nicht! Welches Spiel spielst du? Jetzt reicht es mir aber! Ich zog mein Handy aus der Tasche und fragte Mr. Google nach Rat. Sapperlot noch eins, sogar er wusste mir nicht zu helfen. Keine Kirche in sichtbarer Nähe, die der gesuchten entsprach. Da brat mir doch einer 'nen Storch! Langsam fing ich an zu zweifeln. Doch komme was wolle, ich würde Ludwigshafen nicht verlassen, ohne diesen blöden Kirchturm gefunden zu haben. So blöde konnte ja selbst ich nicht sein! Es blieb nun bloß die Möglichkeit das Straßenschachfeld abzulaufen. Eben dies tat ich. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich mich seit bereits 43 Minuten auf der Suche befand. Peinlich.

"Warum bauen die hier auch überall diese riesigen Bauten hin, ist doch klar, dass man hier nichts finden kann!", Gedanken eines Dorfkindes. Aber dann, endlich, tatsächlich hatte ich das blöde Ding mit der großen Uhr und der Glocke oben drin gefunden. Und war bitter enttäuscht. Nun erklärte sich auch, warum ich diese riesige Kirche nicht gefunden hatte. -.-

Ähhhm, wo ist denn...dein...Hinterteil?
...Zu viel Sandstein-Diät?!

Im Nachhinein fand ich heraus, dass es sich hierbei um den Lutherturm der ehemaligen Lutherkirche mit dazugehörigem Lutherplatz und Lutherbrunnen handelte. Sein "Hinterteil" verlor sie, als sie dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer fiel. Bitte entschuldige, dass ich mich zuvor unwissentlich über dein Heck lustig gemacht habe. Kommt nie wieder vor.

Immerhin konnte ich über meine neu gelevelte Dummheit lachen und zufrieden loswandern.
Der Schneefall hatte sich mittlerweile in Luft aufgelöst, Feuchtigkeit lag in der Luft. Sie war überraschend klar und angenehm. Der Weg lief sich einfach und schnell, nachdem ich die unendlich große BASF Landschaft hinter mir gelassen hatte. Einige Zeit lief ich direkt am Rhein entlang, keine Städte oder Dörfer lagen auf meiner Route. Mittagspause machte ich in einer verlassenen Bushaltestelle. Kaum ein Auto kreuzte meine Spur, bloß ein paar Spaziergänger mit ihren Hunden, Kindern und Enkelkindern, gelegentlich ein Storch oder Fischreiher. 

Anders sein ist schön!


So kam ich ohne größere Zwischenstopps zeitig in Worms an und konnte auch hier ab und zu abseits des Weges ein paar Sehenswürdigkeiten anschauen. In Worms. Das gerade einmal 40 Minuten von meiner alten Heimat entfernt liegt und noch nie von mir beachtet worden war. Armes Worms!
Der Wormser Dom
Der heute bewohnte Wasserturm

Mit den letzten Sonnenstrahlen des Tages fiel ich bei Ramona ein. Sie hostete mich in ihrem kleinen Zimmer im Studentenwohnheim. Aber es fand sich Platz für eine schmale Matratze und einen Schlafsack; was braucht man auch mehr? Absolut studentenkonform gab es Nudeln mit individueller Soße zum Abendessen. Ramona ist einer dieser Menschen, wie ich sie so oft auf diesem Trip getroffen habe, die mir den Blick auf viele Dinge extrem erweitern und ganz neue Denkrichtungen anschneiden. Wenngleich wir uns doch nur eine halbe Stunde kannten, erzählten wir uns Dinge und Erfahrungen, die kaum einer meiner besten Freunde wissen. Man erzählt miteinander, als würde man sich ewig kennen und habe sich nur eine ganze Weile nicht mehr gesehen. Ihre travelers vitae beeindruckte mich stark. Wieder so viele Länder und Kulturen, mit denen ich bisher noch nie in Berührung gekommen bin. Sie teilte tolle Erinnerungen mit mir und ich kam sofort ins Reisefieber, obgleich ich mich doch gerade auf einer solchen befand. Das menschliche Hirn eines Backpackers ist verrückt und unersättlich, gierig nach Bildern, Gefühlen, dem Unbekannten.
Auch wenn es nur eine sehr, sehr kurze Zeit war, ich bin sehr Dankbar für diesen Aufenthalt!

Impressionen: 
Der Beweis: Ludwigshafen ist gar nicht so langweilig wie alle sagen. Ich finds super hier! :)
Ramona & Adjoa, kurz vorm Schlafengehen

Kilometerstand: 701km

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