Samstag, 20. Februar 2016

Heute ist der Otter drin

Heute ist Samstag. Ich mag Samstage nicht. Im Lauf-Business ist der Samstag, wenigstens in Deutschland, ein Overkill. Warum? Am Samstag muss all das eingekauft werden, was für zwei Tage reichen muss. Und das ist bei meinen Bedürfnissen ein ordentliches Paket. Das Gute daran: Das Paket wird von Stunde zu Stunde leichter.

Lisa, meine Gastgeberin, kämpfte sich wahrhaftig um irgendwas mit 7 Uhr aus den Federn um in die Uni zu fahren und dort fleißig zu Lernen. Dabei war sie so mucksmäuschenstill, dass ich getrost noch eine Runde weiterschlummern konnte. Das nenne ich Disziplin. Also bei Lisa, nicht bei mir.
Aufgrund dieses fast nächtlichen Abschiedes habe ich es doch schon wieder verpasst einen Schnappschuss auszulösen, darum, liebe Lisa, habe ich heute leider kein Foto für dich. Beim nächsten Mal holen wir das nach!! :)

Nach einem ausgiebigen Shopping Trip im Supermarkt fühlte ich mich gewappnet den bevorstehenden Supermarsch von 32 Kilometern hinter mich zu bringen. Auch, wenn das Wetter mich heute schon wieder ärgern wollte. Sturm, Regen, Nässe und Kälte folgten mir bei Fuß.
Brav folgte ich wiederum Mr. Google. Bereits während dem Laufen guckte ich mir auf der Karte einen Ort heraus, wo ich meine Mittagspause halten könnte. Auf der Routenplanung wurde mir eine Übersetzung mit der Fähre angezeigt; na wenn das nicht der perfekte Platz für ein Stück herzhaftes Brot, Käs und Woscht ist! Also stiefelte ich vollstens motiviert durch den Eintopf aus knöcheltiefem Morast, nüchterner Kälte und nötigenden Windböen, die dem Ganzen den letzten Pfiff gaben.

Einige Schritte später hatte ich tatsächlich die Fähre erreicht und freute mich darauf zum ersten Mal seit Wochen wieder rheinland-pfälzischen Boden zu betreten. "Ganz schön wenig los hier", wunderte ich mich und hielt nach einem Fahrplan Ausschau, in der Hoffnung, dass ich nicht stundenlang auf die nächste Fahrt warten müsste. Na dann wollen wir doch mal sehen. Mit dem Zeigefinger wischte ich die dicken Regentropfen von dem schon angemoosten Plastikschutz der Fahrzeitentafel. Dann konnte ich erkennen, dass darauf die 12 Monate abgebildet waren. Ich suchte nach dem Februar. "Fahrten nur bei gutem Wetter". Ähm, wie war das? Bei gutem Wetter? Geht's denn noch? Ich finde Regen, Sturm und Kälte sind super Wetter! Schließlich stampfe ich doch auch hier herum! Zu meiner Empörung las ich den Satz noch einmal und versuchte ihn schnappatmend zu verinnerlichen. Die sich vermehrenden Regentropfen sammelten sich bereits in meinen hochgezogenen Augenbrauen, rinnen hinunter und tropften mir von der Nasenspitze schnurstracks in meinen noch immer von Unverständnis gelähmten Mund, der sperrangelweit offen stand und nach Luft japste.

Kurzerhand fand ich meine Fassung wieder und schaltete mein Hirn ein, um eine Alternative zu finden irgendwie auf die andere Seite zu gelangen. Die Alternative entlarvte sich als 5-Kilometer-Umweg durch die Walachei. Aber wenigstens immer am Rhein entlang, auf den ich mich doch auch so lange gefreut hatte. Die Freude sollte mir aber bald vergehen.

Um aus den 5 wenigstens eine 3,5 zu machen, entschied ich mich Mr. Google zu ignorieren und mir einen eigenen Weg zu bahnen, der mir weit kürzer erschien als die vorgegebene Route. Das klappte auch alles wunderbar, bis...ich plötzlich eine interessante Entdeckung machte. Die ganze Zeit lang war ich dem Rhein gefolgt, der fröhlich und unbeschwert zu meiner Linken vor sich hin wuselte. Auf einmal hörte ich auch auf der rechten Seite fließendes Gewässer und erhaschte einen Blick durch das Dickicht. Tatsächlich, da war ein Fluss oder besser ein Kanal. Wie schön. Ich lief weiter, ohne darüber nachzudenken, was das bedeuten könnte. Ohnehin hatte ich genug damit zu tun auf dem rutschigen Pfad nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Außerdem musste ich die Schiffe beobachten, die über den Rhein schipperten und fragte mich, was Victoria, Aragon, Cristina, Regina und Co. wohl in ihren überlangen Körpern transportierten und wohin sie unterwegs waren.

Dann aber riss mich etwas ganz anderes aus meinen Tagträumen. Und zwar diese ungewöhnlich große, sich bewegende Pfütze direkt vor mir. Diese, die weit größer war, als jene, in denen ich zuvor versucht hatte meine Füße zu versenken. Mir wurde klar, dass ich ab nun eingeschlossen war. Konnte das wirklich sein? Ja, konnte es. Mir blieb nichts anderes übrig, als kehrtzumachen und das ganze Stück zurückzulaufen. Zurück an der Kreuzung, die ich zuvor nicht wahrgenommen hatte, gab es einen Damm, der mich eventuell aus dem eingrenzenden Wasser hinausholen könnte. Hätte ich nur mal auf Mr. Google gehört...

Wenigstens führte mich der Erdwall tatsächlich aus meiner misslichen Lage heraus. Er schlängelte sich maßangeglichen wie ein Aal entlang des Kanals, der mich von meiner heiß und lange ersehnten Mittagspause am anderen Ufer trennte. Eine riesige Schleife musste abgelaufen werden, um endlich wieder Zivilisation zu erreichen. Zwar konnte ich die Häuser und Straßen sehen, waren sie doch bloß knappe 10 Meter von mir entfernt, nur konnte ich ums Verrecken nicht auf die andere Seite gelangen, was mich schier wahnsinnig machte. Wie das Pferd, das der Karotte nachjagt.

Unterdessen ich mich mit der Frage beschäftigte in welcher Pechsträhne ich mich heute verfangen hatte, schwamm ein Otter an mir vorbei. Er schenkte mir keine Aufmerksamkeit, kein Ottermitleid, nicht einmal einen müden Blick und paddelte wie selbstverständlich den Kanal entlang. Wahrscheinlich wunderte er sich darüber, wie blöd ich war, dass ich nicht einfach wie er durchs Wasser schwamm. Wenn er gekonnt hätte, hätte er mich sicherlich ausgelacht und die Otterzunge herausgestreckt.

Eine gute Stunde später stand ich auf befestigtem Boden. Verzweifelt hielt ich nach einer überdachten Bushaltestelle Ausschau, um endlich etwas Nahrung zu mir zu nehmen, ohne dass der Regen sie vor meinen Augen zersetzen würde. Weit und breit war keine Überdachung, keine Bank, kein trockenes Plätzchen zu finden. Geschlossene Fensterläden, unbelebte Häuser, nicht einmal ein Auto fuhr die Straße entlang. Auf jedem Friedhof war mehr Leben als in diesem Kaff. Doch dann entdeckte ich ein etwas ungewöhnliches, aber absolut legitimes Pausenhäuschen!
Ein wenig armselig, aber halbwegs trocken!
Geheimtipp für die Zukunft: Spielplätze!

Immer noch klatschnass, dafür mit vollem Bauch marschierte ich weiter. Der Wind pustete mich von links nach rechts, gelegentlich bekam ich eine fiese Regenklatsche. Der Weg wurde von Mal zu Mal grauenhafter und die Krönung war die Überquerung der Rudolf-von-Habsburg-Brücke nach Germersheim, auf der ich so richtig herumgewedelt wurde. Von Brüstung zur Leitplanke, von der Leitplanke zur Brüstung. Pingpong-bridging vom Allerfeinsten.

Wenn ich mich jetzt stets an Mr. Google halte, sollte ich den Endpunkt in eineinhalb Stunden erreicht haben, also gib Gummi! Gleich nach diesem Entschluss folgte der dritte Streich und der Mister führte mich auf einen Pfad, den es Dank eines Industriegebietes nun gar nicht mehr gibt. Wieder stand ich ratlos da, wieder bemühte ich mich einen anderen Weg zu finden. Das Tageslicht wurde allmählich knapp.

Ich kann gar nicht mehr nachvollziehen, wie ich Germersheim verlassen habe, doch eine halbe Stunde später fand ich mich in einem Waldstück wieder. In der progressiven Dämmerung war mir das aber alles andere als genehm, also legte ich noch einen Zahn zu.

Mit meiner Gastgeberin Sabrina hatte ich den Treffpunkt in Lingenfeld am Bahnhof vereinbart. Dort würde mich ihr Lebensgefährte einsammeln und nach Römerberg bringen. Bildlich sah ich schon die schwachen Laternen am Bahnhof in der Ferne vor mir, als ich durch den dunklen Wald tapste, mit gespitzten Ohren, die jedes kleinste Geräusch wahrnahmen und mir eine Adrenalinspritze verpassten. In einer solchen Situation klingt jedes kleinste Rascheln wie eine riesige, monströse Bedrohung. Etwas knallte in der Ferne, dann herrschte wieder Stille. Die Stille, die nur ein düsterer Wald aussenden kann. Überall beobachten dich unsichtbare Augen und verfolgen dich auf Schritt und Tritt. Der Pfad wurde immer enger, die Büsche immer dichter, bald konnte ich die Hand vor den Augen nicht mehr sehen und entschloss mich den letzten Kilometer so gut es ging zu rennen. Meine schmerzenden Füße und die neue Blase, die ich mir heute gelaufen hatte, beeinträchtigten mich merklich.

Doch dann, da vorn, Lichter! Das wurde aber auch Zeit! Völlig aus der Puste rannte ich den Schotter hinauf, über die Bahngleisen und war heilfroh, als ich David traf, der mich bereits erwartete. Er lud mich und meinen Backpack ins Auto und brachte mich in mein heutiges Zuhause. Dort genoss ich zu allererst eine heiße Dusche, befreite mich von Schlamm, Kälte und der leichten Panik, die sich in mir breitgemacht hatte. Ein beruhigender Tee und Kater Oli auf dem Schoss und gleich ging es mir um Welten besser.

Später kam Sabrina von der Arbeit nach Hause. Wir verbrachten eine ganze Weile am Esstisch und erzählen. Die Beiden haben dieses alte Haus selbst renoviert und komplett neu aufgezogen. Dabei haben sie überall versteckte Räume und andere Überraschungen gefunden. Der Umbau wird sich noch einige Zeit hinziehen, doch ich freue mich für die Zwei, wenn alles in absehbarer Zukunft einmal fertig sein wird. Leider schaffte ich es nicht lange gerade auf dem Stuhl zu sitzen; ich war hundemüde und merkte, dass mein Körper Schlaf und Ruhe forderte. Aus den ursprünglichen 32 waren heute ja auch schließlich spitzenwertige 37 Kilometer geworden. Darum verabschiedete ich mich bald und mumifizierte mich in das gemütliche Bett, lauschte einem Hörbuch zur Entspannung und schlief seelenruhig ein.

Impressionen:
Heute nicht.
 
Kilometerstand: 624km

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen