Mittwoch, 24. Februar 2016

whattaday!

Kaum aus der Tür getreten kitzelte die Sonne meine noch schlafenden Lachmuskeln wach. So konnte der Tag doch beginnen! Munter und gut gelaunt stolzierte ich in die weite Welt. Der letzte Tag allein.
Die Stimmung änderte sich plötzlich, als mich Mr. Google über einen eigenartigen Pfad schickte. Ich ging durch die Pforte eines Friedhofes. Was genau sollte ich denn hier? Die dichten, hohen Bäume und die uralten Grabsteine darunter schüchterten mich ein. Es war gruselig, schauderhaft und beeindruckend zugleich. Aber ich war richtig hier. Der Weg führte genau hierhin.

Ich befand mich auf dem Friedhof Hochheimer Höhe. Niemals zuvor habe ich einen solch imposanten, eindrucksvollen und außergewöhnlichen Friedhof gesehen, wenn man einer solchen Stätte überhaupt solche Worte zusprechen darf. So viele würdevolle Grabstätten, solche Größe, wie ich sie in der Form selten gesehen habe. Friedhöfe waren für mich stets unangenehme Plätze, verbunden mit Schmerz und Trauer. Auch Zuflucht und Hoffnung, allerdings nur an sonnigen Tagen. Die Emotionen beim Betreten eines Friedhofes sind aus meiner Sicht schwer zu umfassen. Und doch fesselte dieser mich, sodass ich mir tatsächlich einige Zeit nahm, um mir die einzelnen kleinen Kunstwerke zu Gedenken der Verstorbenen ein wenig genauer anzusehen. Insgesamt fanden hier laut Aufzeichnung bereits rund 70.000 Menschen ihre letzte Ruhestätte. Gefallene unterschiedlichster Nationalitäten aus mehreren Kriegen, Mitglieder der jüdischen Gemeinde und Bewohner aus Worms und Umgebung liegen hier begraben. Bei jedem Grabstein, den ich las, lief es mir eiskalt den Rücken herunter. Nicht nur aus Schauder, sondern auch aus Mitgefühl. Erst nachdem ich die Tore des mit dicken Steinmauern umrahmten Friedhofes durchschritten hatte, linderte die Frühlingssonne meine Gänsehaut.

Eigentlich wollte ich mich auf halber Strecke mit Danilo treffen, der heute in der Nähe arbeitete. Also legte ich Brennholz auf den Kohlenofen und beschleunigte auf GoogleMaps-Tempo. Bergauf, Bergab, querfeld, querwärts. Um nicht an der Straße entlang laufen zu müssen, entschied ich mich durch die Weinberge zu klettern. Noch hatte ich den eigentlichen Weg gut im Blick. Das änderte sich aber schlagartig und die Straße verschwand, ich entfernte mich immer weiter von meiner vorgegebenen Route und jeder Versuch zurück zur Fahrbahn zu kommen scheiterten daran, dass meterhohe Vorsprünge mir einen Strich durch die Rechnung machten. Als ich endlich dachte einen Pfad gefunden zu haben, der mich ins nächste Dorf bringen würde, wurde ich von einer übergroßen Abbaugrube überrascht. Adjoa, das kannst du vergessen. Durch die kletterst du bestimmt nicht durch. Also lief ich das ganze Stück drum herum und verlor massiv an Zeit. Heilfroh war ich, als ich nach ca. 1 Stunde über eine kleine Brücke tatsächlich zurück in die Zivilisation fand. Heute wohl lieber keine Experimente mehr. Aber so oder so klappte es mit unserem Treffen leider nicht, ich war zu spät dran und hatte mich umsonst beeilt. Kurz war ich betrübt, aber hey, das Wetter war so gnädig mit mir, da konnte ich kaum lange schmollig sein. Über Hügel, entlang der Weinreben, durch den dicksten Matschsumpf, dabei stets Sonnenstrahlen im Gesicht; es hätte mich heute weitaus schlimmer treffen können - der Tag war ein Knaller! Mit jeder Stunde musste ich ein Klamottenteil mehr ausziehen und allmählich gingen mir die Ideen aus, wo ich sie verstauen sollte.

In Framersheim, so war mein Plan, wollte ich eine Pause einlegen. Doch um 13:30Uhr fand ich keinen einzigen Laden, der geöffnet hatte, und so fiel das Mittagessen ins Wasser. Das war nun natürlich blöd. Aber mein Tank war noch halb voll und ich nutzte meine übrigen Reserven um möglichst bald in Gau-Weinheim anzukommen.

Mutterseelenallein, abgesehen von den Winzern und Gehilfen, die die Rebstöcke bearbeiteten, lief ich durch die Natur, atmete die frische Frühlingsluft bis ins tiefste Lungenbläschen ein, formte kleine Fältchen an meinen Mundwinkeln und wanderte in absoluter Zufriedenheit vor mich hin.

Auf einmal hörte ich laute Motorgeräusche. Es war kein Traktor, das erkannte ich sofort! Ich drehe ich um und blicke auf die Kuppe des Hügels, den ich gerade bezwungen hatte. Was war das denn?! Ich traute ja meinen Augen nicht! Ein großes, weiß-rotes Gefährt hupte mich an und zwang mich wie angewurzelt stehen zu bleiben. Das war doch wohl nicht sein Ernst, der war doch von Sinnen!
Jetzt stellt euch das einmal vor. Ihr macht einen ziemlich langen Spaziergang durch die Weinberge. Eure Wanderschuhe und die gesamte untere Partie eures Körpers sind bereits vollständig mit einer Schlammschicht überzogen. Ihr würdet euch blendend in einer Lindt-Pralinenschachtel machen. Der viele Regen der letzten Tage hat die wenigen geteerten Parts lückenlos mit Matsch asphaltiert. Jeder Schritt den ihr geht, hinterlässt eine tiefe Spur. Auf eben einem solchen Weg befindet ihr euch gerade. Dann ertönt ein Tuckern hinter dem letzten Hügel, das deutlich näher kommt. Weil ihr wissen wollt, was da vor sich geht und auf ein lautes Hupgeräusch hin dreht ihr euch um und erblickt einen LKW, der sich seinen Weg auf dem schmalen Pfad durch die Pampa bahnt. Wild winkend sitzen 2 Leute darin. Einer davon ist Danilo.

Zuerst wunderte ich mich, wie er mich finden konnte. Doch die Fußspuren, die ich eindeutig und unverkenntlich hinterlassen hatte, waren ein Indiz. Egal. Ich freute mich wie ein Schnitzel! Auch wenn es nur 10 Minuten waren. Ausgestattet mit einer neuen Trinkflasche, einem Kaffeestückchen und 2 Schokoriegeln war ich bereit die restliche Etappe meisterhaft zu bezwingen.

Die Gegend änderte sich kaum. Es blieb schön und einsam. Die Matschmasse unter meinen Schuhen wurde langsam aber sicher richtig schwer und ich war erleichtert, als ich den aufgeweichten Boden gegen festen Untergrund eintauschen konnte. Erinnert ihr euch noch an diese furchtbaren Buffalo Plateau Schuhe aus den 90ern? Ja, in etwa so fühlte es sich an auf Asphalt zu laufen. Ich war locker 5cm größer als normal. Doch bei jedem weiteren Schritt verlor ich an Höhe. Der Schlamm konnte mir nicht standhalten und der Stil meiner Kindheit bestehend aus lehmartigem Sediment bröckelte in seiner Fassade zusammen.

Nach meiner kurzen Einmann-90er-Party hatte ich auch schon Gau-Weinheim erreicht. Etwas unangenehm in meinem Aufzug klingelte ich bei Sabine und Julian. Aber da die Beiden selbst 2 Kids hatten, hoffte ich auch Verständnis. Sabine öffnete mir mit einem herzlichen Lachen die Tür, bat mich ruhig herein und gab mir ein paar Minuten, bis ich mich von meiner maßangefertigten Garderobe befreit hatte. Es war wohl das Beste für alle Beteiligten nach der kurzen Begrüßung augenblicklich unter die Dusche zu springen. In sauberen Klamotten und frischer Aufmachung präsentierte ich mich zurück und pünktlich zum Abendessen. Anschließend wurde die Schlafenszeit für die beiden Kurzen eingeläutet. Die Kleine bekam ein Fläschchen, der Große eine Gutenachtgeschichte, der auch ich mit Freuden lauschte. Es ist so schön zu sehen, dass unter all den Dingen, die sich seit meiner Kindheit verändert haben, solche Werte doch immer noch geschätzt und weitergegeben werden. Für Geschichten ist man doch nie zu alt!

Wir "Erwachsenen" trafen uns später im Wohnzimmer wieder zusammen, naschten ein paar Gummibärchen und quatschten. Besonders witzig fanden wir die Tatsache, dass ich heute Nacht nur schlappe 20 Autominuten von meiner Heimat entfernt couchsurfte. Ein komisches Gefühl so nah am Ziel zu sein und doch nicht in gewohnter Umgebung zu nächtigen, sondern bei wildfremden, aber dennoch sehr lieben Menschen. Ich fühlte mich sehr wohl in der kleinen Familie und ging zufrieden über die Geschehnisse des Tages in mein eigenes Bett, in meinem zu Eigen überlassenen Zimmer.

Impressionen:

Jegliche Versuche mich vor Ankunft zu säubern scheitern...
Der letzte Tunnel!

Kilometerstand: 737km

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen